PolitikNZZ: Ukrainische Weiten

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Handrij
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Ukraine

NZZ: Ukrainische Weiten

Beitrag von Handrij »

Beinahe nirgendwo gibt es für Migranten aus aller Welt grössere Entfaltungsmöglichkeiten als im liberalen, toleranten und grossräumigen Kanada. Dabei haben osteuropäische, aber auch asiatische Einwanderer für eine Verwandlung des kanadischen anglo-französischen Bikulturalismus in einen Multikulturalismus besonderer Prägung gesorgt.

Von Hans-Joachim Hoppe

Gemäss Volkszählung bezeichnen sich von 33 Millionen kanadischen Bürgern nur etwa 40 Prozent ethnisch als «Kanadier», die anderen hängen an den Wurzeln ihrer Vorväter oder sind erst vor kurzem eingewandert. Man schätzt, dass es etwa zwei bis drei Generationen dauert, bis Einwanderer äusserlich und innerlich «Kanadier» geworden sind: Sie trinken Molson-Bier, kleiden sich im Wolfskin-Globetrotter-Look, sind kauzig wie skandinavische Hinterwäldler und haben auf Auslandsreisen vor nichts mehr Angst, als für US-Amerikaner gehalten zu werden. Wenn man Kanadiern begegnet, ist man verblüfft von ihrer Ausstrahlung von Glück und Zufriedenheit.

Nach einer Untersuchung der Universität Toronto hat man allerdings festgestellt, dass die farbigen Einwanderer (die «sichtbaren» Minderheiten wie Mexikaner, Afrikaner, Araber und Asiaten) sich schwerer integrieren lassen als die «unsichtbaren» oder besser die «unauffälligen» (wie Engländer, Schotten, Iren, Franzosen, Deutsche, Niederländer und Osteuropäer), die schneller in der kanadischen «Leitkultur» aufgehen. Das Englische wie auch das Französische haben die besondere Fähigkeit, Namen anderer Nationalitäten so zu verformen, dass man deren fremde Herkunft kaum wiedererkennt.

Die ganze Vielfalt

Kanada ist allein schon aufgrund seiner Nationalitätenstruktur ein wichtiger Partner Osteuropas. Es spiegelt die ganze Vielfalt der Nationalitäten Ost- und Südosteuropas in seinen Grenzen wider: Ukrainer, Polen, Russen, Serben und Kroaten. Sogar die Deutschen, die mit mehr als 3 Millionen Siedlern immerhin ein Zehntel der kanadischen Bevölkerung ausmachen, stammen zu einem Grossteil aus Osteuropa (Russland, Kasachstan, Siebenbürgen, Donauraum). Sie fallen nicht nur zahlenmässig ins Gewicht, sondern setzen Zeichen auch in Wirtschaft, Kultur und Politik – mit Politikerpersönlichkeiten wie etwa dem ehemaligen kanadischen Premier John Diefenbaker, den Provinzpremiers Ralph Klein (Alberta), Gary Doer (Manitoba) und dessen Vorgänger Edward Schreyer (Manitoba).

Nicht nur in Mennonitensiedlungen vor allem im Mittelwesten Kanadas, sondern auch in fast allen Grossstädten bilden Deutsche immer noch eine bedeutende Gruppe. Die grösste deutsche Kolonie in Toronto mit einst über 220 135 Personen ist in Assimilation an den kanadischen Lifestyle mittlerweile auf etwa 50 000 zusammengeschmolzen. Mit Schwabenklubs, Hans-Haus und jährlichem Oktoberfest halten die Deutschen ihre Tradition hoch. Goethe-Institute, deutsche Schulen, Germanistik-Abteilungen an kanadischen Universitäten, die deutsch-kanadische Handelskammer und die Deutsch-Kanadische Gesellschaft tragen zur Förderung bilateraler Kooperation bei. Immerhin 400 000 Deutsche gebrauchen noch die deutsche Standardsprache.

Unter den osteuropäischen Nationalitäten fallen die gut eine Million Ukrainer durch ihre exponierte Stellung besonders ins Gewicht. Sie spielen in Kanada eine vergleichsweise weitaus grössere Rolle als die fast doppelt so starke, 2 Millionen Menschen zählende ukrainische Gemeinschaft in den USA. Kanada war und ist für viele Ukrainer ein Land der Verheissung, eine Gegen-Sowjetunion. Die drei Mittelwestprovinzen Alberta, Saskatchewan und Winnipeg sind so zu Zentren des Ukrainertums geworden. Schon seit zwei Jahrhunderten wandern Ukrainer nach Nordamerika aus, weil sie dort ähnliche natürliche Bedingungen, preisgünstige Ländereien, «unbegrenzte» Freiheiten für ihre ethnischen, religiösen oder politischen Eigenheiten sowie staatliche Unterstützung für einen Neubeginn vorgefunden haben. Viele liessen in der Alten Welt Armut, Krieg, Fremdherrschaft und Verfolgung hinter sich.

Vorkämpferrolle

Ukrainische Emigranten wurden zu Vorkämpfern des heute so typischen und musterhaften kanadischen Multikulturalismus. Der aus Galizien stammende Slawist Jaroslav Rudnyckyj (1910 bis 1995) und der Senator Paul Yuzyk (1913 bis 1966) waren bedeutende Theoretiker und Promotoren des Multikulturalismus. Mit Deutschen und anderen osteuropäischen Nationalitäten bildeten sie im Mittelwesten eine dritte Kraft gegen den bis dahin staatlich verordneten britisch-französischen Dualismus. Die schon in ihrer Ursprungsheimat um ihre Identität und die Einheit ihres Landes ringenden Ukrainer, deren Wurzeln sich oft mit Russen, Polen, Deutschen und Juden mischen, sehen sich so abermals als «nation builders», diesmal als Vorkämpfer für eine «kanadische» Identität, die sie nicht durch einen Quebecer Separatismus gefährdet sehen wollen. Andererseits geben die Sonderrechte der Frankofonen auch den Ansprüchen anderer Ethnien auf Wahrung ihrer kulturellen Eigenheiten Auftrieb. Der westlichen Öffentlichkeit kaum bekannt ist der enorme Beitrag Kanadas und der ukrainischen Diaspora zum Gelingen der orangen Revolution im Spätherbst 2004. Hunderte von Kanadiern, nicht nur ukrainischer Herkunft, strömten damals in die Ukraine – zur Wahlbeobachtung und zur Teilnahme an den Massenprotesten. Neben den Orange-Wimpeln waren auch die kanadischen Flaggen auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz zu sehen.

Einfluss haben in Kanada auch Russen. Ein Verwandter des Zaren, Michael Ignatieff, Jahrgang 1947, Historiker und Philosoph, wäre beinahe der Vorsitzende der Liberalen und Premier Kanadas geworden. Zurückgezogen hingegen lebt Sergei Plechanow und lehrt an der York University in Toronto osteuropäische Geschichte und Politik – er ist der Nachfahre des Begründers des russischen Marxismus Georgi Plechanow. Daneben beherbergt Kanada noch viele andere Prominente aus Politik, Kultur und Wirtschaft osteuropäischer Provenienz – so dass man zur Zeit des Kalten Krieges scherzhaft-verächtlich von einem «Sowjet-Kanada» sprach. In Kanada lebt der Schriftsteller Josef Škovorecký, ein grosser alter Mann der tschechischen Literatur, und auch der Serbe David Albahari und der Lette David Bezmozgis fanden hier Zuflucht.

Politiker und Unternehmer aus Migrantenkreisen wurden nach der Wende in Osteuropa zu wichtigen Mittlern zwischen Kanada und ihren Herkunftsländern. So steuerten die USA und Kanada durch gezielte Partnerschaften und Patenschaften zum Reformprozess in Osteuropa bei. Migranten, die in Nordamerika Zuflucht gefunden hatten, kehrten zurück in ihre Heimat, um dort vor Ort am Wandlungsprozess mitzuwirken.

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